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„Nanu?! Der MDK kommt nun doch! Oder?“

Wie ist das mit den Wiederholungsbegutachtungen bei Kindern?

Und: Was hat das mit der Überleitung in die neuen Pflegegrade zu tun?

In letzter Zeit häufen sich die Panikmeldungen von Eltern behinderter Kinder: „Hilfe, der MDK will zur Wiederholungsbegutachtung kommen!“. (Wohlgemerkt: Wiederholung! Es geht hier nun NICHT um die Erstanträge.)

Hintergrund der Irritation ist das zweite Pflegestärkungsgesetz, das jetzt gerade in Umsetzung ist. Laut dem werden nämlich seit dem 1.7. bis Ende des Jahres 2016 im Normalfall KEINE Wiederholungsbegutachtungen mehr durchgeführt.

Trotzdem trudeln bei einigen Familien jetzt die Schreiben ein, die den MDK zur regulären Wiederholungsbegutachtung ankündigen. Nanu? Was soll denn das?

Wie kommt es jetzt, dass pflegebedürftige Kindern nun doch begutachtet werden sollen? Sind Kinder irgendwie anders zu handhaben als Erwachsene? Gibt es da eine Sonderregelung? Lesen die Sachbearbeiter die Gesetze nicht?

Das wollte ich jetzt mal genau wissen und habe mich auf telefonische Pirsch nach Antworten begeben.

DISCLAIMER: Dies ist keine Rechtsberatung im Einzelfall! Es ist nur eine Dokumentation meiner Recherche und der Stand meines Wissens als juristischer Laie. Rechtsverbindliche Aussagen kann nur ein zugelassener Rechtsanwalt geben. Das bin ich nicht!

Ich versuche hier nur allgemeinverständlich auf allgemeiner Basis nachzuvollziehen, wie es zu diesen Ankündigungen von Wiederholungsbegutachtungen kommt, und wie man damit umgehen kann.

Was im Einzelfall wirklich rechtens und sinnvoll ist, muss jede Familie in Rücksprache mit ihrem Rechtsbeistand selbst entscheiden.

Pflegestufen und Pflegegrade

Eigentlich ist der Wiederholungsbesuch ja ganz normal. So heisst es im §18 SGB V, Abs.2: „Der Medizinische Dienst oder die von der Pflegekasse beauftragten Gutachter haben den Versicherten in seinem Wohnbereich zu untersuchen. (…). Die Untersuchung ist in angemessenen Zeitabständen zu wiederholen.“.

Bedeutet also: Wer eine Pflegestufe hat wird in „angemessenen Zeitabständen“ nochmal begutachtet um zu schauen ob die Pflegestufe noch passt. Das ist fair und absolut in Ordnung und soll – wenn die Begutachtung richtig erfolgt – dazu dienen, dass jeder Pflegebedürftige richtig eingestuft wird und die Leistungen bekommt, die er benötigt.

Nun kommen aber ab 2017 die neuen Pflegegrade. Das ganze System wird kompletto verändert. (Wenn ihr darüber mehr wissen wollt – schreibt mir, dann mache ich dazu auch mal einen Blogpost.) Der Gesetzgeber hat sich nun aber überlegt, dass es Wahnsinn wäre, alle Pflegebedürftigen, die bereits im System sind, vor der Umstellung nochmal neu zu begutachten und beschlossen, dass jeder mit einer Pflegestufe „übergeleitet“ werden soll.

Und da wurde dann auch gleich mal ein Gesetz beschlossen, welches besagt, dass ab dem 1. Juli eben für alle, die schon eine Pflegestufe haben, die Dinge so bleiben wie sie sind. Das ist der §18 SGB XI, Absatz 2 a. Und ja … – das ist einfach eine Ausnahmeregelung zu dem Absatz, den wir eben schon gehört haben. Da steht:

(2a) Bei pflegebedürftigen Versicherten werden vom 1. Juli 2016 bis zum 31. Dezember 2016 keine Wiederholungsbegutachtungen nach Absatz 2 Satz 5 (Anmerkung Mahnke: Das ist der Satz, dass die Begutachtungen in angemessenen Abständen wiederholt werden sollen.) durchgeführt, auch dann nicht, wenn die Wiederholungsbegutachtung vor diesem Zeitpunkt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung oder anderen unabhängigen Gutachtern empfohlen wurde.“

Eigentlich also glasklar: Wer schon eine Pflegestufe hat, wird nicht neu begutachtet. Zumindest nicht im zweiten Halbjahr 2016. Auch nicht, wenn im Gutachten vom letzten Mal eine Begutachtung empfohlen wurde.

Wieso also jetzt die Aufregung? Weil der Absatz 2a noch nicht vorbei ist. So geht’s weiter:

Abweichend von Satz 1 können Wiederholungsbegutachtungen durchgeführt werden, wenn eine Verringerung des Hilfebedarfs, insbesondere aufgrund von durchgeführten Operationen oder Rehabilitationsmaßnahmen, zu erwarten ist.“.

Hmmm …. Was will uns der Gesetzgeber damit sagen??

Sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich? Auch Kinder?

Also … bei den meisten Familien, die eine Ankündigung der Wiederholungsbegutachtung bekommen haben, gab es in letzter Zeit keine Operation. Auch hatten ihre Kinder an keinen Reha-Maßnahmen teilgenommen. Wieso also dann die Begutachtung??

Weshalb sollte eine „Verringerung des Hilfebedarfs (…) zu erwarten“ sein? Einfach weil es sich um Kinder handelt? Oder weil Krankenkassen grundsätzlich optimistisch sind und immer davon ausgehen, dass es ja jederzeit Spontanheilungen des Down-Syndroms, signifikante Verbesserungen bei einer Cerebralparese oder einfach einen „Schub“ in der Entwicklung eines austistischen Kindes kommen kann? Ist eine Verringerung des Hilfebedarfs bei Kindern aus anderen Gründen zu erwarten als bei Erwachsenen??

Meine persönliche, unmaßgebliche Meinung als Mutter eines behinderten Kindes und juristischer Laie ist ganz klar: „Nö!“.

Aber wie sehen das die Experten?? Ich erkundige mich im Internet, telefoniere mit Anwälten und diskutiere mit Menschen die Jura studiert haben. Alle finden: „Eigentlich kann das nicht sein!“. Kindsein ist laut Gesetzestext keine Ausnahme, die rechtfertigt, dass der Hilfebedarf verringert ist. Andererseits ist es natürlich auch sehr wohl bei Kindern möglich, dass sie nach einer Operation sehr viel fitter sind und weniger Hilfe benötigen. Insbesondere bei jenen, deren Behinderung rein körperlicher Natur ist. Dann wäre eine Wiederholungsbegutachtung, genau wie beim Erwachsenen, absolut gerechtfertigt.

„Entwicklungsverzögerungen können ja aufgeholt werden.“ zitiert eine Mutter das Argument ihrer Sachbearbeiterin. „Daher muss man bei Kindern doch immer davon ausgehen, dass sie weniger Hilfe benötigen.“. Zugegeben – da ist was dran. Ist das jetzt der Freibrief, bei Kindern generell davon auszugehen, dass der Hilfebedarf sich verringert?

Nichts genaues weiß man nicht …. – Klärungsversuch beim Bürgertelefon

Kurzentschlossen telefoniere ich mit dem Bürgertelefon der Bundesgesundheitsministeriums. Die müssen doch wissen wie das Gesetz gemeint ist!Immerhin gibt es da eine extra Nummer zum Thema Pflegeversicherung. Wenn da jetzt grade ein Gesetz aktuell wird, dann hat man dort doch sicher Kenntnis davon und kann mir erklären in welchen Fällen Kinder jetzt gesetzesentsprechend neu begutachtet werden sollen!

Leider irre ich mich. Man hat beim Bürgertelefon irgendwie keine Ahnung wovon ich spreche – genauso wenig wie offenbar auf der Sachbearbeiterebene einiger Krankenkassen. Ist die aktuelle Erweiterung des §18 womöglich den Mitarbeitenden im System nie kommuniziert worden?

DOCH: Wenn es da was gibt, dann muss das ja im Rundbrief des Spitzenverbandes des MDK erwähnt sein. Die Dame ist ehrlich bemüht. Und sie da: Sie findet auch im Rundbrief des Spitzenverbandes den Hinweis auf die Veränderung des Paragraphen 18, mit seinem aktuellen Zusatz-Absatz 2a. Der wird leider einfach nur zitiert, aber wie damit jetzt konkret zu verfahren ist und wie sich das auf Kinderbegutachtungen auswirkt steht da nicht. Verflixt!

Sie kann mir also auch nix konkretes sagen. Und außerdem ist das Bürgertelefon – genau wie ich ja auch – eben aus „rechtsstaatlichen Gründen nicht berechtigt über die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften im Einzelfall zu entscheiden.“

ABER: Sie hat da noch eine Nummer für mich. Ich könnte bei der Aufsichtsbehörde des MDK anrufen. Die kennen sich da mit sowas aus. Bestimmt!

Telefonat mit dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Nachdem ich auf der Suche nach Antworten nun schon so oft die Fragestellung formuliert habe, fällt es mir leicht den §18 auswendig abzuspulen – womit ich leider die Dame von der Telefonzentrale gnadenlos überfordere. „Wie jetzt? Wiederholungsbegutachtungen? Also Heimaufsicht? Nicht? Ach um Kinder geht’s? Hmm … vielleicht …aber es geht doch um Pflegeversicherung? Ja? Okay .. Mal sehen mit wem ich Sie da verbinde ….“.

Ich lande bei einer ebenfalls sehr netten Dame, die lacht und sich total wundert, wieso ausgerechnet SIE etwas mit dem Thema zu tun haben könnte. Sie ist Expertin für ein ganz anderes Sozialgesetzbuch (davon gibt’s ja auch genug!). Aber sie hört sich geduldig meine Fragestellung an und blättert ihren Zuständigkeitskatalog durch. Da gab’s jemanden – aber der ist jetzt nicht mehr da. Aber vielleicht …. Ja … vielleicht wäre Frau XYZ die richtige Ansprechpartnerin. Und falls nicht, wäre die zumindest schonmal näher dran am Thema Häusliche Pflege und kennt dann vielleicht jemanden, der jemanden kennt, der weiß, worum es geht ….Einen Moment – ich verbinde ….

Und siehe da: Frau XYZ versteht zumindest mal wovon ich rede. Sie würde mich gern mit Frau ABC verbinden, aber die sei leider nicht erreichbar. Ob ich ihr die Anfrage nochmal mailen könne – sie habe zwar in 2 Tagen Urlaub, aber sie würde sich Bemühen den richtigen Ansprechpartner zu ermitteln.

Eine Antwort, eine Antwort!!

Und tatsächlich: Kurz darauf meldet mein Emailprogramm „Sie haben Post!“ und ich finde ein supernettes Schreiben von einem Herrn vor, dass ich ihn gerne anrufen könne.

Wenig später tue ich das dann auch glatt, denn ich will nun endlich wissen, woran ich bin. Wir plaudern geraume Zeit (natürlich wieder mit dem Hinweis darauf, dass auch er aus „rechtsstaatlichen Gründen nicht berechtigt (sei) über die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften im Einzelfall zu entscheiden.“. Das kennen wir ja schon.

Mein Gesprächspartner ist irritiert, wieso ich annehme, dass das Gesetz bei Kindern anders gehandhabt werden könne als bei Erwachsenen. Er wundert sich über meinen Erfahrungsbericht. Tatsächlich kennt er sich mit dem Thema aus, ist in diversen Gremien unterwegs, die sich mit der Versorgung schwerstkranker Kinder befassen. Kurz und gut: Das Gesetz sieht offenbar tatsächlich keine Ausnahmen vor.

§18 SGB XI, Absatz 2a gilt für alle – unabhängig vom Alter. Wer eine Operation oder eine Rehamaßnahme hat, der kann auf jeden Fall neu begutachtet werden. Für alle anderen gilt: Die Kasse muss schon irgendwie erklären, warum sie annimmt, dass der Hilfebedarf sich verringert hat.

Aber was sollen betroffene Familien denn nun tun?

Erstmal: Ruhe bewahren. Offenbar sind viele Sachbearbeiter im Tagesgeschäft nur unzureichend informiert worden. Daher müssen sie erstmal auf den entsprechenden Paragraphen hingewiesen werden, den meine Leser inzwischen sicherlich schon zitieren können, oder?

Wenn der MDK sich also meldet und das Kind in letzter Zeit keine Reha oder OP hatte, dann sollte man dies der Krankenkasse mitteilen und um eine Erläuterung bitten, warum sie davon ausgehen, dass der Hilfebedarf sich verringert hat.

Natürlich nur WENN man selbst der Auffassung ist, dass diese Begutachtung unnötig ist. Denn in einigen Fällen können diese Familien ja auch von der Wiederholungsbegutachtung profitieren: Zum Beispiel wenn der Hilfebedarf tatsächlich höher geworden ist, oder das Kind inzwischen so alt ist, dass die Abzugszeiten für Gleichaltrige erheblich geringer geworden sind. Einfacher formuliert: Wenn die Schere zwischen nicht-behinderten und behinderten Kindern weiter aufgegangen ist.

Die Krankenkasse muss also eigentlich einen Grund vorbringen, warum sie jetzt eine Wiederholungsbegutachtung ansetzt. Und der Grund darf eben nicht sein „Weil die Begutachtung in angemessenen Zeitabständen zu wiederholen ist.“. Denn eine Begutachtung aus diesem Grund ist ja ausgesetzt.

Wenn die Kasse den MDK also einfach schicken will, weil es im Kalender steht, dann stimmt was nicht. Wenn die Kasse aber tatsächlich sagen kann, dass sie im Einzelfall geprüft hat und aus guten Gründen eine Untersuchung anberaumt hat dann KANN das rechtens sein.

Also heißt es: Nachfragen und deutlich machen, wenn man keinen verringerten Hilfebedarf sieht und auch keine Höherstufung erwartet. Kann man den Besuch ablehnen? Im Prinzip ja.

Einige Familien haben das bereits getan. Und die Kasse hat daraufhin einen Irrtum eingeräumt und die Begutachtung storniert. Andere Kassen haben gedroht dann das Pflegegeld zu streichen. Können die das wirklich machen? Machen können die das, sagt mein Gesprächspartner. Aber dann kann man aber Widerspruch einlegen und ggf. klagen. In jedem Fall kann man eine Eilentscheidung vom Gericht verlangen.

Es klingt, also ob das ein guter Weg wäre. Denn letztlich ist da dann jemand, der dann tatsächlich berechtigt ist über die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften im Einzelfall zu entscheiden. Wir anderen können nur Mutmaßen, was der Gesetzgeber gewollt und wie der Einzelfall zu bewerten ist – aber vor Gericht kann dann tatsächlich entschieden werden, was §18, SGB XI, Absatz 2a für eine konkrete Familie bedeutet.

Und so beende ich diesen Blog mit dem hilfreichen Hinweis des Bürgertelefons:

Sollten Sie mit einer Entscheidung Ihrer Kranken- bzw. Pflegekasse nicht einverstanden sein, können Sie Widerspruch einlegen oder eine Überprüfung durch die zuständige Aufsichtsbehörde veranlassen. Sie haben auch die Möglichkeit, nach dem Widerspruchsverfahren Klage vor dem zuständigen Sozialgericht zu erheben.“

Viel Erfolg allen Familien da draußen!